Das Theater Dortmund präsentiert in der Saison 2016/17 »Sunset Boulevard« von Andrew Lloyd Webber. musikschulwelt hat die Aufführung besucht.
Vor gut einem Viertel Jahrhundert feierte Andrew Lloyd Webbers Musical »Sunset Boulevard« seine umjubelte Weltpremiere in London, doch erst seit sechs Jahren sind die Aufführungsrechte nun auch für Stadttheater freigegeben. In der laufenden Saison 2016/17 bringt das Theater Dortmund dieses 1995 mit fünf »Tony Awards« zum Musical des Jahres gekürte Werk in der deutschen Version von Michael Kunze auf die Bühne, wobei es sich um eine Neuinszenierung der Bad Hersfelder Produktion von 2011 handelt.
Der Plot spielt Ende der 1940er Jahre, der Blütezeit Hollywoods, und stellt eine in die Jahre gekommene Filmdiva (Norma Desmond) in den Mittelpunkt, die ihren Karrierehöhepunkt noch in der Stummfilmära hatte und nun nicht wahrhaben will, dass sie im neuen Zeitalter des Tonfilms nicht mehr gefragt ist. Ein arbeitsloser Drehbuchautor (Joe Gillis) lässt sich von der exzentrischen Schauspielerin dazu verdingen, ein selbst entworfenes Drehbuch für ihr Comeback zu überarbeiten. Dabei wird er von Norma Desmond, die in einer durch ihren Butler aufrecht erhaltenen Parallelwelt lebt, in der sie immer noch umjubelter Star ist – mit Haut und Haaren vereinnahmt …
Eine Affen-Beerdigung
Tatsächlich wirkt der Stoff anno 2016 ziemlich skurril – zumal man der jüngeren Generation erst einmal erklären muss, dass es so etwas wie eine Stummfilmära gab, in der die Mimik das zentrale Ausdrucksmittel auf der „sprachlosen“ Filmleinwand war. Spätestens bei der Beerdigung eines Affens zu Beginn im Hause der Diva ist die (allzu) hollywoodeske Bühnenhandlung ohne vorherigen Input dann mit zahllosen Fragezeichen behaftet – so geschehen bei unserer jugendlichen Begleitung. Natürlich liefert die ausgezeichnete Website des Dortmunder Stadttheaters, ebenso wie Programmhefte am Abend selbst, den entsprechenden Background. Aber die Frage darf gestellt werden, ob man sich im Repertoirebetrieb dieser Tage nicht unmittelbarere »Botschaften« des modernen Musiktheaters wünscht … so wie in der vergangenen Spielzeit mit der herausragenden Dortmunder Inszenierung von »Next to Normal« (musikschulwelt berichtete).
Vergnügen am Detail
Das Bühnenbild von »Sunset Boulevard« vermag den Zuschauer auch nicht so recht in das glamouröse Ambiente des Szenarios zu versetzen – weder in die schillernde Hollywood-Welt noch in das hochherrschaftliche Anwesen des Filmstars. Bei der szenischen Umsetzung (Regie: Gil Mehmert) hingegen gibt es immer wieder echte Highlights, die ebenso Szenenapplaus auslösen wie die Lachmuskeln des Publikums aktivieren – ob in der wunderbaren Autoverfolgungsjagd oder in jener faszinierenden Slow-Motion-Szene, wo Norma Desmond die Hollywood-Studios besucht.
Musicalmachen ist eine Dortmunder Leidenschaft
Das Live-Orchester unter der Leitung von Ingo Martin Stadtmüller musiziert mit höchster Spielfreude die zahlreichen Ohrwürmer aus »Sunset Boulevard«, wobei die musikalischen Herausforderungen durchaus nicht banal sind … speziell auch nicht in den Gesangspartien. Mit Pia Douwes hat das Theater Dortmund die ideale Desmond unserer Tage verpflichtet, die mit theatralischem Stimmgestus und schauspielerischer Hingabe die Hauptpartie in adäquater Weise verkörpert. Beachtliche Leistungen zeigen auch die Solisten des Hauses (u.a. Oliver Arno als Joe Gilles und Wietske van Tongeren als Betty Schaefer), wobei sich Hannes Brock in der Rolle des Butlers zum heimlichen Star des Abends singt.
Dortmund beweist mit der aktuellen Produktion einmal mehr seine Expertise in Sachen Musical. Hier kommt der Genre-Freund auch ohne Großinvestition zuverlässig auf seine Kosten. Für die nächsten Spielzeiten freut er sich dann aber gerne auch wieder über lebensnähere, emotional unmittelbarer anrührende Kompositionen des mittlerweile doch so umfangreichen Repertoires.
Alexander Reischert
Website der Produktion: www.theaterdo.de/detail/event/sunset-boulevard/
Termine der nächsten Aufführungen:
12. | 18. | 27. November 2016
10. | 23. | 31. Dezember 2016
22. Januar 2017