Barbara Hintermeier studierte Blockflöte an den renommierten Hochschulen in München, Basel und Wien, bevor sie in München ein eigenes Blockflötenstudio eröffnete. Die erfahrene Pädagogin ist mit ihrem Kinder-Lehrwerk »Flötenlilli« längst bundesweit bekannt. Nun hat sie sich mit einer Publikation speziell dem Seniorenmusizieren zugewandt – und wurde dafür gleich mit dem Deutschen Musikeditionspreis 2015 ausgezeichnet. musikschulwelt sprach mit ihr über das Image der Blockflöte sowie deren besondere Eignung für Senioren.
musikschulwelt: Die Blockflöte lebt mit einem Imageproblem: Sie ist ein äußerst beliebtes und gefragtes Anfänger- bzw. Kinderinstrument, als solches dann aber im fortgeschrittenen Lebensalter oft auch verschrien. Können Sie sich erklären, wie es zu dieser Rufschädigung »Ihres« Instruments gekommen ist?
Wahrscheinlich genau aus dem Grund, den ich mir jetzt zunutze mache: Man kann schnell ein paar Töne lernen und einfache Stücke spielen. Das führt dazu, dass nicht immer nur Fachlehrkräfte Anfängerkinder unterrichten und oft billige (= schlechte) Instrumente mit unsauberer Intonation und eigenwilligem Klang gekauft werden – dann will man natürlich irgendwann etwas »Richtiges« lernen.
Das schnelle Erfolgserlebnis kann auch ein Problem sein
Aber: Blockflöte ist ein richtiges Instrument, auf dem man mit sehr hohen Ansprüchen musizieren kann, und das nicht nur im Bereich der Barockmusik, sondern auch im Jazz (z.B. »Wildes Holz«) sowie in der Rock- und Popmusik (z.B. mit der »Elody«, einer modernen E-Blockflöte der Firma Mollenhauer) und vielen anderen Bereichen. Wir müssen immer noch sehr am Image der Blockflöte arbeiten – und dafür am besten mit gutem Beispiel vorangehen!
musikschulwelt: In Ihrer täglichen pädagogischen Arbeit sowie mit den mittlerweile zwei veröffentlichten Notenbänden »Senioren musizieren: Blockflöte« wirken Sie nun gerade diesem Vorurteil der Blockflöte als typischem Kinderinstrument entgegen. Wie kamen Sie auf die Idee, gerade Senioren ab ca. 70 Jahren einen eigenen »behutsamen Lehrgang für Anfänger und späte Wiedereinsteiger« zu widmen?
Mehrere Faktoren ließen es zur Gründung meiner ersten Seniorengruppe in München kommen. Nach einem Gottesdienst, in dem ich Blockflöte gespielt hatte, wartete eine alte Dame auf mich. Sie wollte wissen, was ich gespielt hatte, und erzählte mir, dass auch sie Flöte gelernt habe. Leider könne sie aber nicht mehr spielen, da ihre Augen zu schlecht seien. Da hatte ich die Idee, für sie die Noten zu vergrößern … Bis kurz vor ihrem Tod spielten wir danach gemeinsam aus sehr großen Noten und hatten viel Spaß dabei.
Senioren sind keine Kinder mehr
Auch bei Kinder-Unterrichtswerken sind zum Teil die Noten sehr groß abgebildet, sodass mancher Pädagoge bislang für das Senioren-Musizieren darauf zurückgriff. Ich aber war sehr entsetzt, dass man Erwachsenen (Senioren sind erwachsen, auch wenn sie – leider – oft wie kleine Kinder behandelt werden) ein Kinderheft vorsetzt; das Liedgut ist ungeeignet und die theoretischen Erklärungen sind für Kinder konzipiert, die noch nicht oder nur schlecht lesen können und noch nicht über abstraktes Denkvermögen verfügen.
Des Öfteren begegneten mir nach Konzerten Senioren, die früher auch gespielt hatten, sich nun aber nicht mehr ans Instrument wagten und dies sehr bedauerten. Die Antworten darauf, warum sie nicht mehr spielten, waren mannigfaltig: Es fehlte beispielsweise an Gelegenheiten und dem Mut, etwas Neues zu beginnen, vielleicht war mitunter auch Trägheit im Spiel.
So kam ich auf die Idee, eine Blockflötengruppe für Senioren zu gründen. Und da es dafür keine geeigneten Schulen und Stücke gab, musste ich sie eben selbst schreiben. Meine neue Schule »Senioren musizieren: Blockflöte« richtet sich nun besonders auch an den absoluten Neuanfänger!
musikschulwelt: Warum eignet sich die Blockflöte in Ihren Augen besonders auch als Instrument für Erwachsene bzw. sogar für Senioren?
Weil Blockflötespielen schnell zum Erfolg führt! Außerdem hat sie viele Vorzüge gegenüber anderen Instrumenten:
- Die ersten Töne lassen sich relativ leicht erlernen.
- Jeder Ton hat eine durch das Instrument festgelegte Tonhöhe (bei allen Saiteninstrumenten ist die Intonation wesentlich schwieriger).
- Die Blastechnik ist auch mit weniger Luft zu erlernen, da sie keinen hohen Druck (z.B. Oboe) oder großes Volumen (z.B. Saxophon) benötigt. Das regelmäßige Ein- und Ausatmen kräftigt sogar die Atmung – wer sonst macht täglich regelmäßige Atemübungen?!
- Der Ansatz strengt die Lippen nicht an, gleich am Anfang kann man spielen, so lange man Lust hat – und selbst Zahnprothesen sind kein Problem.
- Die Haltung beim Blockflötespielen ist denkbar einfach: Sie lässt sich gut im Sitzen spielen und ohne Belastung des Rückens. Da die Arme bei der Tenorflöte ziemlich weit unten gehalten werden, ist auch die Muskulatur von Ober- und Unterarmen nicht überbeansprucht.
- Blockflötespielen ist auch im Rollstuhl möglich!
- Der Transport des Instruments ist denkbar einfach: Flöte und Noten haben sogar im Rollator Platz, auch gewichtsmäßig stellt sie kein Problem beim Tragen
- Die Kosten für eine Blockflöte sind gut steuerbar – manchmal besitzt noch jemand in der Familie ein Instrument, das er gerne verleiht. Und für eine Neuanschaffung gibt es eine breite Palette von einfachen Plastik- bis zu handgefertigten (teuren) Solisteninstrumenten.
Ganz entscheidend bei der Blockflöte ist die schnelle Möglichkeit des mehrstimmigen Zusammenspiels – schon mit wenigen Tönen ist das möglich. Und dieses gemeinsame Musizieren fördert den Zusammenhalt, beugt der Gefahr der Vereinsamung im Alter vor und macht auch bald den Zuhörern Freude.
musikschulwelt: Welche Rolle spielt – gerade im fortgeschrittenen Alter – Musizieren im Allgemeinen und das gemeinschaftliche Musizieren auf der Blockflöte im Besonderen?
Ich nenne das gerne: »Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie Ihren Flötenlehrer oder Ihre Flötenlehrerin.« Denn Blockflötespielen hat Nebenwirkungen!
Ich bin weder Arzt noch Therapeut in irgendeiner Form, aber einige positive Aspekte des Musizierens mit der Blockflöte im fortgeschrittenen Alter lassen sich nicht übersehen. Einige davon möchte ich gerne ansprechen. Sie dienen (mir) oft auch als Argumentationshilfe beim Versuch, eine neue Gruppe ins Leben zu rufen:
Die Atmung
Sie steht eindeutig im Vordergrund und wird durchs »Blockflöteblasen« trainiert. Oft spielen wir, bis wir keine Luft mehr haben – übrigens auch eine gute Übung gleich am Anfang einer Stunde!
Wir atmen beim Spielen gezielt tief ein und durch die Ton- und Melodiegestaltung langsam wieder aus. Man könnte sagen, wir machen eine Stunde lang Atemübungen – also auch besonders geeignet für Asthmatiker. Wie langweilig wäre das ohne Blockflöte!
Die Haltung
Beim Blockflötespielen müssen wir so aufrecht wie möglich sitzen, um gut zu atmen und das Instrument vor uns halten zu können. Der Kopf muss nach oben gerichtet sein, damit sich der Blick zum Notenständer wenden kann. Somit hebt sich der gesamte Oberkörper und richtet sich auf.
Die Finger
Für sie halten wir ein echtes Bewegungstraining bereit! Jeder einzelne Finger ist gefordert, die von uns gewünschte Bewegung auszuführen. Viele jener Bewegungen, die Hände und Finger im Berufsleben leisten mussten, fallen im Alter weg – wir schaffen dafür ein neues Betätigungsfeld!
Das Gedächtnis
Es muss unglaublich viel Neues lernen, sich neue Bewegungen merken, eine neue Schrift lesen. Dazu kommt noch, dass eine längere Konzentrationsfähigkeit gefragt ist, also: Ausdauertraining für den Kopf ist angesagt! Und was gibt es Besseres im Alter …
Der soziale Aspekt
Wir beugen mit unseren Kursen der Vereinsamung im Alter vor, da beim Musizieren die Gemeinsamkeit gefördert wird. Außerdem spielen Schwächere und Stärkere in einer Gruppe, sodass auch Rücksichtnahme und gegenseitige Hilfe gefordert werden.
Nicht nur gemeinsame Auftritte stärken das Selbstbewusstsein. Auch der Beweis, im fortgeschrittenen Alter etwas Neues erfolgreich begonnen zu haben, gibt Mut und Auftrieb.
musikschulwelt: Lerntempo wie auch Übemotivation stellen sich bei Senioren sicher ganz anders dar. Welche Erfahrungen haben Sie da gemacht?
Nur die allerbesten! Senioren haben Zeit, was zur Folge hat, dass sie regelmäßig üben, pünktlich zum Unterricht kommen und die Autorität des Lehrers nicht anzweifeln – das kennen wir von vielen Kindern ja ganz anders!
Durch das regelmäßige Üben ist das Lerntempo ziemlich hoch, »meine« Senioren sind mit großem Ernst bei der Sache. Das schafft ideale Bedingungen für das Unterrichten und Lernen, führt zum Erfolg und macht einfach nur Spaß!
musikschulwelt dankt Frau Hintermeier für dieses Interview. Die Fragen stellte Annett Reischert-Bruckmann.
Wenn das irgendwie zu finanzieren wäre, wäre das eine tolle Idee für Pflegeheime!
Da vereinsamen viele Menschen ja auch oder leiden an Boreout, weil sie nur wenige Sachen mitnehmen konnten und oft die Angebote relativ monoton sind („heiteres Gedächtnistraining“, Sitzgymnastik usw.).
Flötenunterricht könnte da sicher auch zur Beschäftigung in Leerzeiten – also oft den gesamten Zeiten zwischen den Mahlzeiten – und zur gemeinsamen Aktivität anregen. Oder man könnte sich mal gemeinsam ein Blockflötenkonzert von Vivaldi etc. anhören, um sich zu motiviere und ein Thema zu haben.
Egal in welchem Alter man ist, man kann immer ein Instrument lernen. Es stimmt, vor allem dem älteren Menschen fehlt manchmal der Mut wieder zum Instrument zu greifen. Daher finde ich die Idee eine Seniorengruppe zu gründen super. Da braucht sich niemand blamieren.