»Wissen, wer man selbst ist …«

Foto: Archiv Furore Verlag

»Komponieren ist eine höchst individuelle Angelegenheit.
Man muss dabei auch wissen, wer man selbst ist, auch ethnisch. Es muss Charakter haben und ein Spiegel des eigenen Lebens sein.«

Ruth Schonthal hatte ein außergewöhnliches Leben: Ihre Eltern stammten aus Wien, sie selbst wurde am 26. Juni 1924 in Hamburg geboren. Im Alter von fünf Jahren begann sie zu komponieren und wurde die jüngste Studentin, die jemals am Stern-Konservatorium in Berlin aufgenommen wurde. Dort erhielt sie Klavier- und Theorieunterricht. 1935 musste sie das Konservatorium verlassen – die nationalsozialistische Judenverfolgung in Deutschland trieb die Familie zunächst nach Stockholm. Wegen ihrer außergewöhnlichen Begabung erhielt sie dort einen Studienplatz am Konservatorium der Königlichen Musikakademie. Bereits im Alter von 14 Jahren veröffentlichte Ruth Schonthal ihre erste Sonatine.

Hochmusikalischer Teenager
1941 wurde es für ihre Familie auch in Schweden zu gefährlich. Die politisch unsichere Situation führte sie über Umwege nach Mexiko City. Im Palacio de Bellas Artes spielte Ruth Schonthal als 19-Jährige die Uraufführung ihres eigenen Klavierkonzertes. Sie begegnete dort Paul Hindemith, der ihr zu einem Stipendium verhalf, was ihr ermöglichte, ab 1946 bei ihm an der Yale University in New Haven zu studieren. Sie war eine von ganz wenigen, die bei ihm das Studium mit Auszeichnung abschlossen.

Lebenslanger Schülerkontakt
Ruth Schonthal war später Dozentin für Komposition an der New Yorker University und unterrichtete privat Klavier und Komposition. Sie musste ihr Leben lang vom Unterrichten leben und schuf so eine Vielzahl von Werken für den Musikunterricht. Zu nennen wäre hier beispielhaft die Reihe von Divertimenti für die verschiedensten Bläser- und Streicherbesetzungen, etwa der »Tango for two« (fue 3940) für Klarinette und Violoncello.

Ruth Schonthal passte sich nie den musikalischen Zeitströmungen an. Während Anton Webern und John Cage für amerikanische Komponisten zu Leitfiguren wurden, verfolgte sie ihren eigenen Weg, der die klassisch-romantischen Wurzeln nicht verleugnete. Die außergewöhnlich vielseitigen Eindrücke, die ihr das Leben in verschiedenen Teilen der Welt vermittelt hatte, legten den Grundstein zu ihrem Kompositionsstil. Durch die fundierte, umfangreiche und methodisch sehr unterschiedliche Ausbildung in Deutschland, Schweden, Mexiko und den USA konnte Ruth Schonthal aus einem ungewöhnlich großen kompositionstechnischen Fundus schöpfen.

Ein Musikstil jenseits der Zeittrends
Was macht ihre Werke so bemerkenswert? Vor allem die große Offenheit und Neugier, mit der sie verschiedenste Stilmittel zu neuen Synthesen verschmelzen lässt. Ruth Schonthal versteht ihr Werk als Abbild einer komplexen menschlichen Gefühlswelt. Menschliche Gesten und Bewegungen versuche sie in ihren Melodien und Rhythmen zu spiegeln, hat sie einmal gesagt. Durch Ihre Werke möchte sie mit den Zuhörern kommunizieren.

Ruth Schonthal erhielt sowohl Kompositionsaufträge für Klavier- und Kammermusik als auch für Opern und sinfonische Werke. 1994 bekam sie den Internationalen Künstlerinnenpreis der Stadt Heidelberg, in den USA wurde sie ebenfalls mit vielen Auszeichnungen geehrt. Am 10. Juli 2006 verstarb Ruth Schonthal in Scarsdale bei New York City.

Ihr Werk findet weltweite Verbreitung, seit 1997 verlegt der Furore Verlag in Kassel Ruth Schonthals Werke exklusiv. 1999 wurde an der Stiftung Archiv der Akademie der Künste in Berlin das Ruth-Schonthal-Archiv eingerichtet, wo Notenhandschriften, Drucke, Korrespondenz, Fotos und persönliche Unterlagen der Komponistin aufbewahrt und InteressentInnen zur Einsichtnahme zur Verfügung gestellt werden. Sabine Kemna

Notenfutter für neugierige junge Instrumentalisten:

  • »Kleine Impressionen« für Klavier: Kurze und sehr leichte Klavierstücke für ganz junge Klavierspieler/innen (Heft 1: Furore Verlag fue 3770, ISMN 979-0-50012-877-9, EUR 9; Heft 2: Furore Verlag 3780, ISMN 979-0-50012-878-6, EUR 9)
  • »Japanese Sketches« für Klavier: Sehr poetische, beschreibende und einfallsreich kurze Stücke unter Verwendung von pentatonischen Skalen in verschiedenen Tonarten, Bitonalität und interessanten Mustern (Furore Verlag fue 2870, ISMN 979-0-50012-187-9, EUR 8,-)
  • »Five Oceanic Preludes« für Klavier oder Orgel: Fünf kleine Stücke für den Unterricht, mit denen Ruth Schonthal auf einen Artikel der Pianistin zeitgenössischer Musik Ursula Oppens reagierte, die beklagte, dass keine gute Klaviermusik mit Avantgarde-Techniken für den Unterricht geschrieben würde. (Furore Verlag fue 3880, ISMN 979-0-50012-888-5, EUR 7)
  • »Bouquets for Margret« für Klavier vierhändig: Fünf klangvolle Duette für den vierhändigen Unterricht (Furore Verlag fue 3890, ISMN 979-0-50012-889-2, EUR 13)