Vom Glück, sein Instrument zu teilen

Klavier vierhändig Quadrat orange3Über die Faszination des vierhändigen Musizierens am Klavier, die besonderen Herausforderungen und Potenziale sowie das vielfältige Repertoire sprach musikschulwelt mit Prof. Monika Twelsiek. Sie ist Dozentin für Klavier und Fachleiterin für Tasteninstrumente an der Rheinischen Musikschule Köln, Professorin für Klavierpädagogik an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf.

Pianisten können solo, allein mit sich und dem Instrument, wunderbar Musik machen. Auch das Erlebnis des gemeinsamen Musizierens mit anderen Instrumenten ist von der ersten Stunde an möglich und macht Freude. Das Spiel in großen Ensembles oder im Orchester bleibt ihnen aber – im Gegensatz etwa zu Streichern oder Bläsern – die meiste Zeit verwehrt. Dafür allerdings bietet sich ihnen eine ganz spezielle Variante des gemeinschaftlichen Musizierens: das vierhändige (und mehrhändige) Spiel, bei dem sich mehrere Spieler ein Instrument teilen. Das ist bei keinem anderen Instrument möglich.

musikschulwelt: Worin liegt für Sie der besondere Reiz des Vierhändigspielens?
Es ist der Reiz des geglückten Zusammen-Spiels, sei es in der Musik, im Tanz, in der Liebe: sich gut verstehen, gemeinsam Ideen entwickeln, spontan aufeinander reagieren, sich aneinander freuen und zusammen etwas Schönes schaffen. Das Besondere am Vierhändigspielen ist dabei die extreme räumliche Nähe, das Spiel an nur einem Instrument.

Gemeinsam Ideen entwickeln und spontan aufeinander reagieren

musikschulwelt: Haben Sie selbst in Ihrer Jugend auch vierhändig gespielt? Und erinnern Sie sich vielleicht sogar noch an ein bestimmtes Stück?
Ein großes Vorbild, nicht nur das Klavierspiel betreffend, war meine Tante Charlotte. Mit ihr vierhändig zu spielen, war ein großes Glück. Dann gab es einen befreundeten Hobby-Pianisten und Klavierbauer, der exklusiv für mich ein besonders schönes Instrument gebaut hat. Regelmäßig kam er zum Stimmen und überprüfte im Vierhändigspiel mit mir, welche Fortschritte ich gemacht hatte und ob ich seines Instruments würdig war. Natürlich habe ich auch mit meiner damaligen Klavierlehrerin zusammengespielt. Ich erinnere mich besonders an ein Konzert mit Mozarts D-Dur-Sonate KV 381, (die sich auch im Band »Piano Duets« befindet): Beim temperamentvollen Umblättern riss meine Lehrerin die Seite mitten durch. Die Fetzen flogen durch die Luft und wir mussten auswendig weiterspielen. Der Applaus war gewaltig.

musikschulwelt: Welche speziellen Qualitäten fördert das Vierhändigspielen?
Da sind zunächst die Qualitäten, die jedes Zusammenspiel, jede Kammermusik fördert: das Finden eines gemeinsamen Tempos, eines gemeinsamen Atems, die schwierige Aufgabe des präzisen Zusammenspiels, das Ausbalancieren »wichtigerer« und »unwichtigerer« Stimmen, wobei die »unwichtigeren« Stimmen leiser, aber präsent und ausdrucksvoll gespielt werden sollen. Reizvoll ist auch der Rollenwechsel zwischen führender und begleitender Funktion, der sich im Verlauf des Stückes mehrfach ändern kann.

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Prof. Monika Twelsiek ist Dozentin an der Rheinischen Musikschule Köln sowie an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf.

Gesucht ist ein musikalischer »Teamgeist«
Herausforderungen speziell des Vierhändigspiels an einem Klavier sind vor allem ungewohnte Bewegungsabläufe: Durch die Enge sind die »Spiel-Räume« eingeschränkt. Die Tasten und der Platz am Instrument müssen – immer mit Blick auf den zweiten Spieler – optimal genutzt werden. Das bedeutet: kreative Aufteilung der Parts, schnelles Freigeben der Tasten, ungewohnte Fingersätze, manchmal Ineinandergreifen oder gar Kreuzen der Hände der beiden Spieler, Ausführung von Begleitfiguren mit der rechten, von Melodien mit der linken Hand.
Dazu kommt eine – zunächst ungewohnte – Notation: Der Primo-Part ist normalerweise ausschließlich im Violinschlüssel, der Secondo-Part ausschließlich im Bassschlüssel notiert. Durch die Nutzung der gesamten Tastatur werden extreme Tonräume erschlossen, es gibt also viele Hilfslinien in den Noten.
Eine ganz besondere Herausforderung ist schließlich die Benutzung des Pedals. Da die Pedalisierung den Klang des ganzen Instruments verändert, gelingt sie nur mit der Vorstellung des gesamten Werks, nicht nur des eigenen Parts. Manchmal müssen die Spieler während des Stücks das rechte Pedal an den jeweils anderen übergeben, es gibt sogar den Sonderfall des Pedalisierens für den Mitspieler, ohne dass man selbst spielt.

Selbst Lang Lang genießt das Spiel zu vier Händen

musikschulwelt: Stimmt es, dass sich die meisten berühmten Klaviervirtuosen dem Vierhändigspielen verweigern?
Das kann man eigentlich so nicht sagen. Da gibt es die berühmten Klavierduos, die durchaus die Konzertsäle füllen, wie z.B. die französischen Schwestern Katja und Marielle Labèque oder – in früherer Zeit – die berühmten Brüder Alfons und Aloys Kontarsky, beide ehemalige Professoren der Kölner Musikhochschule. Erwähnen möchte ich auch das Kölner Klavierduo Elzbieta Kalvelage und Michael Krücker.
Auch unter den ganz großen Klaviersolistinnen und -solisten haben viele Freude am vierhändigen Zusammenspiel. Faszinierende Beispiele sprühenden Spiels zu vier Händen finden sich auch auf YouTube: Da erlebt man z.B. Martha Argerich mit Nelson Freire, mit Mikhael Pletnev, mit Jewgeni Kissin, mit Eduardo Delgado, Daniel Barenboim mit Lang Lang …

musikschulwelt: Welche Rolle spielt das vierhändige Klavierspiel denn in der Hochschulausbildung?
Ich kann nur für die Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf sprechen, an der ich selbst unterrichte. Dort gehört die Kammermusik-Ausbildung zu den Pflichtfächern der Pianisten. Für welche Besetzung sie sich dabei entscheiden, bleibt ihnen überlassen. In der Klavierdidaktik sind das Zusammenspiel am Klavier ab der ersten Unterrichtsstunde und die Kenntnis der Literatur zu vier bis acht Händen selbstverständlich Thema.

»Duo-Schatzkiste«. 22 Originalwerke von der Klassik bis zur Moderne für Klavier zu vier Händen, erschienen bei Schott Music (ISBN: 978-3-7957-4826-5)

»Duo-Schatzkiste«. 34 Originalwerke von der Klassik bis zur Moderne für Klavier zu vier Händen (Schott Music, ISBN 978-3-7957-4826-5)

Doppelter Spaß im Klavierunterricht

musikschulwelt: Sie haben soeben zwei Bände mit Klavierliteratur zu vier Händen im Schott-Verlag veröffentlicht. In Ihrer »Schatzkiste« kann man ja wunderbare Entdeckungen machen und eine Zeitreise von der Klassik bis zum modernen Swing und Jazz gemeinsam am Klavier absolvieren. Haben Sie darunter einen persönlichen Favoriten?
Das ist eine schwierige Frage, denn eine echte »Schatzkiste« enthält natürlich nur wertvolle Überraschungen, und tatsächlich hat mir die Arbeit an diesem Heft ganz besondere Freude gemacht. Es enthält lauter Stücke, die ich mit meinen Schülerinnen und Schülern an der Rheinischen Musikschule Köln erarbeitet habe und an denen sie ganz besonderen Spaß hatten. Besonders effektvoll sind sicherlich die Werke im Jazz-Rock-Pop-Stil: das gut gelaunte »Come Here and Play« von Eduard Pütz, Jürgen Mosers lyrisches Stückchen »Für Marija« oder »Opas Ragtime« von Mike Schoenmehl mit seinem rhythmischen Schluss-»Show-down«.

musikschulwelt: Wann begann man eigentlich gemeinsam am Klavier zu musizieren?
Die Anfänge der vierhändigen Klaviermusik liegen im Dunkeln. Erste Handschriften stammen aus dem 17. Jahrhundert. Die Tastatur hatte aber in früher Zeit einen so geringen Umfang, dass das gemeinsame Spiel – außer für Liebespaare – sehr unbequem war. Daher schrieb man zunächst wie für zwei Solisten, die sich im Dialog am Instrument ablösten. (In den Stückchen von Daniel Gottlob Türk kann man diese Praxis noch gut beobachten.) Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts gelang es dem erst neunjährigen Mozart im Finale seiner Sonate C-Dur KV 19d erstmalig, die klanglichen Möglichkeiten des Klaviers im vierhändigen Spiel voll zur Geltung zu bringen. Von der Zeit der Wiener Klassik, der Romantik bis zur heutigen Zeit erfreut sich das vierhändige Spiel großer Beliebtheit. Anton Diabelli und Cornelius Gurlitt komponierten für Lehrer und Schüler, Franz Schubert musizierte seine Ländler gemeinsam mit Freunden, Robert Schumann schrieb vierhändige Stücke für seine Frau und seine Tochter Julie.

Legendäre »Klavierpaare« der Musikgeschichte

Berühmte Paare hat es gegeben, von denen man weiß, dass sie mit Vergnügen im Duo Klavier gespielt haben: Wolfgang Amadeus Mozart und seine Schwester Nannerl gingen schon als Kinder gemeinsam auf Konzertreise. Felix Mendelssohn komponierte für sich und seine Schwester Fanny, Johannes Brahms musizierte gemeinsam mit Clara Schumann auf einem Klavier.

»Piano Duets«. 50 Originalstücke aus drei Jahrhunderten für Klavier zu vier Händen, erschienen bei Schott Music (ISBN 979-0001187633)

»Piano Duets«. 50 Originalstücke aus drei Jahrhunderten für Klavier zu vier Händen (Schott Music, ISBN 979-0001187633)

musikschulwelt: Und damit stiegen natürlich auch die Anforderungen an die Ausführenden. Welche pianistischen Zielgruppen sind mit diesen Werken denn angesprochen?
Die Musik für Klavier zu vier Händen entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte zur ausgereiften Kunstform, die der solistischen Literatur durchaus ebenbürtig ist. Das Heft »Piano Duets« bietet einen repräsentativen Querschnitt durch die reiche vierhändige Literatur vom 18. bis 20. Jahrhundert. Es enthält vollständige Werke wie zwei Sonaten von Mozart, die einzige vierhändige Sonate (op. 6) von Beethoven, die komplette erste »Peer Gynt-Suite« von Edvard Grieg, aber auch einzelne Sätze und Werke aus Zyklen wie ausgewählte Ländler und Märsche von Franz Schubert, Walzer und Ungarische Tänze von Brahms, Slawische Tänze von Dvořák, Sätze aus den Suiten von Gabriel Fauré und Claude Debussy, die vielleicht Lust auf mehr machen. Zielgruppe des dicken Bandes, der ein ganzes Klavierspieler-Leben begleiten kann, sind fortgeschrittene Klavierspieler, Jugendliche und Erwachsene.

Verblüffende Repertoirebreite für alle Alters- und Leistungsstufen

musikschulwelt: Zusätzlich zu einschlägigen »Klassikern« haben Sie nun auch einige spannende Entdeckungen für die Praxis zugänglich gemacht …
Neben den bekannten »Hits« von Gurlitt oder Diabelli für die Jüngsten, Schubert, Brahms, Dvořák, Grieg für die Fortgeschrittenen, die natürlich in keiner Sammlung fehlen dürfen, bin ich auf einige Besonderheiten gestoßen: Da gibt es die berühmte Arie »Das klinget so herrlich« aus Mozarts »Zauberflöte«, die Christian Gottlob Neefe, der Lehrer Beethovens, kongenial zum Klavierstück umgearbeitet hat. Jeder kennt Robert Schumanns »Album für die Jugend« op. 68 für Klavier solo, aber alle staunen über eine Bearbeitung zu vier Händen des Zeitgenossen Theodor Kirchner, selbst ein bedeutender Komponist. Ein ganz neues Gefühl ist es, wenn der »Quasi Cello«-Beginn von Chopins berühmtem »Grande Valse Brillante« op. 34,2 vom zweiten Spieler statt mit der linken Hand des Solisten gespielt wird. Dass György Ligeti, der Meister der komplexen Etüden, bodenständige leichte Volkstänze zu vier Händen geschrieben hat, die Kindern Spaß machen, war nicht allgemein bekannt. In der Jazz-Bearbeitung des Zeitgenossen Uwe Korn erscheinen die klassischen Diabelli-Stücke in ungewohnt aufregendem neuen Gewand. Auf all diese Entdeckungen bin ich schon ein bisschen stolz.

musikschulwelt: Welches Stück der »Piano Duets« ist Ihnen besonders ans Herz gewachsen?
Das ist noch so eine schwierige Frage, die ich beim besten Willen nicht beantworten kann. Wenn ich aber die vierhändigen Werke nur eines Komponisten mit auf die berühmte einsame Insel nehmen könnte, wären es wohl die von Johannes Brahms.

musikschulwelt: Würden Sie für uns zum Abschluss folgenden Satz vervollständigen:

»Das gemeinsame (vierhändige) Klavierspiel ist für mich …
… die Überwindung der natürlichen Einsamkeit des Pianisten beim glücklichen Zusammentreffen am eigenen Instrument.«

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Monika Twelsiek, geboren in Herford, studierte Schulmusik, Instrumentalpädagogik und Klavier an der Musikhochschule Köln sowie Germanistik und Musikwissenschaft an der Universität Köln. Sie kann auf eine reiche Lehrerfahrung zurückblicken, die an den Musikschulen Rheinbach und Hagen ihren Anfang nahm. Aus Twelsieks Klavierklassen an der Rheinischen Musikschule Köln, wo sie seit 1992 den Bereich »Tatsteninstrumente« leitet, gingen bereits zahlreiche »Jugend musiziert«-Preisträger hervor. Zudem wirkte sie bei der Neugestaltung der »Europäischen Klavierschule« mit und ist als Autorin von Rezensionen und musikpädagogischen Beiträgen sowie Herausgeberin zahlreicher Notenausgaben vielfach in Erscheinung getreten.
musikschulwelt bedankt sich für dieses Interview, das Alexander Reischert führte.

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