Klassik in der Defensive?

Studie der Körber-Stiftung ermittelt Desinteresse junger Erwachsener am Konzertbetrieb

Körber-Stiftung„Acht (von zehn) finden Klassik wichtig, aber nur einer geht hin.“ So verkürzt und lapidar läßt sich ein neuester Befund zum Interesse der 18- bis 29-Jährigen am klassischen Musikbetrieb formulieren. Ausführlich und exakt: 84 Prozent der jungen Erwachsenen halten Klassische Musik für ein wichtiges kulturelles Erbe. Aber nur 10 Prozent dieser Altersgruppe haben im letzten Jahr ein Konzert mit klassischer Musik besucht. Die Hamburger Körber-Stiftung hat diese und einige weitere Fragen durch das Forsa-Institut 1006 Befragten gestellt, die Umfrage ist repräsentativ für die deutsche Bevökerung ab 18 Jahren.

Der Studie zufolge findet ein Drittel der 18- bis 29-Jährigen Gefallen an klassischer Musik. Bei den über 60-Jährigen sind das zum Vergleich fast doppelt so viele der Befragten (61 Prozent). Auch in den anderen Altersgruppen liegt der Prozentsatz der Klassikliebhaber höher. Betrachtet man jedoch das aktive Musizieren, so sind hier die Jüngeren führend: Ein knappes Fünftel der 18- bis 29-Jährigen (19 Prozent) musiziert in der Freizeit selbst, spielt ein Instrument oder singt im Chor. Unter den über 60-Jährigen tun dies nur 13 Prozent.

Dass den deutschen Konzerthäusern dereinst das Publikum abhanden kommen könnte, ist eine Befürchtung, die nicht neu ist und die die Studie insgesamt zu bestätigen scheint. Von der Gesamtheit der Befragten meinen 65 Prozent, dass die Konzerthäuser etwas tun müssten, um klassische Musik mehr Menschen zugänglich zu machen. Dieser Meinung haben sich auch 62 Prozent der jüngeren Erwachsenen angeschlossen. Als Gründe für die Abstinenz vom klassischen Konzert bzw. der Oper ist Zeitmangel bei den 18- bis 29-Jährigen das am häufigsten genannte Hindernis (54 Prozent). „Kein Interesse“ und „zu teuer“ folgen mit jeweils 47 Prozent relativ dicht auf. Auch wird die Werbung der Konzerthäuser von dieser Zielgruppe deutlich weniger wahrgenommen als von den Älteren. Immerhin ein Viertel der jungen Erwachsenen stören sich an der „elitären Atmosphäre“.

Die Umfrage wirft einige Schlaglichter auf ein Problem ohne hier wirklich tiefer einzusteigen und Zusammenhänge zu ermitteln. Es wäre wünschenswert, dass auch Kinder und Jugendliche in eine solche Fragestellung einbezogen wären, um zu sehen, ob dieser Trend sich fortsetzt, oder ob neuere Programme und Angebote in der Musikvermittlung (JEKI, JEKISS, Musikklassen etc.) nicht vielleicht doch allmählich greifen. Auch hätte eine Frage zum Besuch von Konzerten anderer Musikrichtungen hier eine vergleichende Einordnung der Ergebnisse ermöglicht. Jedoch zeigt die Studie, dass in jedem Fall musikpädagogischer Handlungsbedarf besteht, sowohl was die Hörgewohnheiten künftiger Generationen betrifft als auch das „Image“ klassischer Musik. Auch müssten ähnliche Befragungen regelmäßig durchgeführt werden, um zu klären ob das Desinteresse der Jüngeren an Klassik ein Kohortenphänomen ist oder altersbedingt: Dann bestünde die Aussicht, dass mit dem Älterwerden das Interesse an Klassik steigt.

Hintergrund:

Mit ihrem Schwerpunkt »Für Musik begeistern« versteht sich die Körber-Stiftung als Anstifterin dafür, neue Wege der Musikvermittlung zu erproben und Musikakteure zu vernetzen.

  1 comment for “Klassik in der Defensive?

  1. Tja, nach dem Debakel von Anne-Sophie Mutter und der jungen Konzertbesucherin, die mit dem Handy filmte, ist das vielleicht auch keine so große Überraschung mehr. Klassische Konzerte bieten immer noch eine hohe Hemmschwelle aufgrund zahlreicher Regelungn: Abendkleidung, Etikette, Angst, als „Laie“ aufzufliegen, der keine große Ahnung hat, oft hohe Eintrittspreise, Unnahbarkeit vieler Musiker.
    Offene Festivals, bei denen Klassik gespielt wird, werden dagegen oft von Besuchern aller Altersklassen besucht.
    Vielleicht sollte hier die Schwelle mal niedriger angesetzt werden, auch mal kleine, erschwingliche Konzerte z.B. Kammermusik an alternativen Orten (Kurhaus etc.) gegeben werden, vielleicht mit kleinen Imbissmöglichkeiten vor oder nach dem Konzert, so dass einfach eher eine lockere Atmosphäre entsteht, die Leute ins Reden kommen – auch über die Musik – und der Eintrittspreis niedrig bleiben kann, weil nur 20 min musiziert wird.

    Vielleicht auch mal ganz unkonventionell, wie Twoset-Violin es machen, die ja viele sehr junge Zuschauer anziehen und dann auch für Klassik begeistern.

    Würde jeder klassische Musiker in seinen Konzerten hin und wieder mal ein Anfängerstück vortragen, könnte sich auch das Interesse von Menschen an der Musik und am Musizieren erhöhen, weil sie dann das gleiche lernen/ spielen könnten „wie der Profi“ und der damit nicht mehr ganz so entfernt wäre. Man kennt das doch von vielen Hobbymusikern: Lieblingsmusiker gehört, Noten gekauft – ja, das kann ich vielleicht mal nach 10 Jahren Unterricht spielen.

    Aber wie gesagt – warum nicht mal die Etikette lockern? Warum nicht mal ein ganzes Konzert, meinetwegen auch Beethoven Violinkonzert, angekündigt in Jeans und T-Shirt spielen und den Besuchern auch ankündigen, dass sie so kommen können? Das würde vielleicht allein schon ein ganz anderes Publikum anziehen! Warum nicht mal, angekündigt, vor dem Vortrag etwas über das Werk und den Musiker erzählen, über das Besondere des Werkes, wie es in seiner Zeit aufgenommen wurde, warum es immer noch gespielt wird – für die Neulinge, die Ungebildeten unter den Zuhörern?
    Ich „musste“ mal mit zu einem Udo-Jürgens-Konzert und der hat dann explizit die „Mitgeschleppten“ auch angesprochen.
    Warum nicht bei klassischen Konzerten das ähnlich machen, die Neulinge ansprechen, die noch gar nichts über das Werk wissen, für die das das erste klassische Konzert ist?

    Einfach irgendwie so ein Konzert niedrigschwelliger und Interessanter für absolute Laien machen!

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