Der 2011 mit dem Niederländischen Musikpreis ausgezeichnete Flötenvirtuose spricht mit musikschulwelt über seine musikalischen Anfänge
Er hat das Oboenspiel erlernt und sich auch in der Popmusik versucht. Doch es war wie bei Harry Potter und seinem Zauberstab: Nicht er wählte das Instrument, sondern das Instrument wählte ihn: die Blockflöte. Der heute 31-jährige Erik Bosgraaf zählt mittlerweile zu den gefragtesten Virtuosen seines Fachs, hat sich zahlreiche Preise erspielt und ist aktuell in der renommierten ECHO Rising Stars Series konzertierend durch Europa und die USA unterwegs. Mit neun Jahren hat er an der Musikschule begonnen – um dann nur wenig später »so zum Spaß« zwei bis drei Stunden zu üben …
musikschulwelt: Wie hat eigentlich alles angefangen?
Als ich 9 Jahre alt war, besuchte ich mit meinen Eltern einen Tag der offenen Tür der Musikschule – und da war ich bezaubert von dem Klang einer Oboe. Wegen meines Alters habe ich dann zuerst ein Jahr Blockflöte gespielt und anschließend Oboenunterricht bekommen. Weil ich aber die Blockflöte so liebte, habe ich das Flötenspiel einfach nebenher weitergepflegt.
musikschulwelt: Ein Flöte spielender Junge in diesem Alter – gab es da nicht Altersgenossen, die das uncool fanden?
Einige negative Reaktionen gab es schon, das Spielen auf einer Blockflöte war für Kinder nicht gerade imponierend. Oft wurde ich von den anderen gehänselt, die Musik wurde dann zum Zufluchtsort.
Später hatte ich sehr viele Schulaufgaben zu erledigen; wenn ich dann zwischendurch Musik machen konnte, fühlte ich mich viel besser. Am liebsten habe ich immer Musik mit anderen zusammen gemacht.
Die Musik war mein Zufluchtsort
Später dann reagierte meine Umgebung doch ziemlich positiv. Ich war nämlich kein Junge, der »nur« auf der Blockflöte spielte. Daneben habe ich immer auch Sport betrieben, mit 15 wurde ich bei den nationalen Leichtathletik-Wettkämpfen sogar Dritter beim Diskuswerfen. Und als richtiger Friese war ich natürlich auch ein ziemlich guter Schlittschuhläufer … Das stand der Musik auch überhaupt nicht im Wege, im Gegenteil! Gerade die Abwechslung sorgte dafür, dass mir die Arbeit für die Schule und für die Musik leichter von der Hand ging.
musikschulwelt: War das regelmäßige Üben für Sie als Kind und Jugendlicher ein Problem?
Meine Eltern waren bereit, für mich eine teure Oboe zu kaufen, aber nur unter der Bedingung, dass ich jeden Tag wenigstens eine Viertelstunde üben würde. Weil für die Blockflöte keine vergleichbare Bedingung galt, war es eine umso größere Freude, neben dem Oboestudium so viel wie möglich auf der Blockflöte zu spielen. Das machte mir einfach mehr Spaβ!
musikschulwelt: Gab es nicht auch Momente, in denen Sie die Lust an Ihrem Instrument verloren haben?
Ja, das passiert jedem schon mal! Aber besonders als ich bemerkte, dass ich eigentlich nur Interpret war von Musiknoten, die andere aufgeschrieben hatten. Im Alter von 18 oder 19 war fand ich das sehr langweilig. Ich wurde dann Mitglied einer Popband und genoss das Improvisieren und die selbstgemachte Musik. Erst viel später habe ich dann entdeckt, dass man auch fremde und vor langer Zeit komponierte Musik auf diese Weise spielen kann.
Ein Instrument muss sich »gut anfühlen«
musikschulwelt: Wann sollte sich ein Kind aus Ihrer Sicht für die Flöte als Instrument entscheiden?
Eigentlich nur dann, wenn es sich gut anfühlt, die Blockflöte zu spielen. Aber man denke an die Harry-Potter-Geschichte vom richtigen Zauberstab: Nicht er wählt den Zauberstab, sondern der Zauberstab wählt ihn. So ist es auch bei der Wahl eines Musikinstruments – man merkt direkt, ob ein Instrument zu einem passt.
Für mich ist besonders wichtig: Man hat mit der Blockflöte einen direkten Kontakt und sie ist einem sehr nahe. Auβerdem bietet dieses Instrument ungeahnte Möglichkeiten, weil es in einer jungen professionellen Tradition steht. Hinzu kommt dann noch, dass die Blockflöte eine Art »Urinstrument« ist: aus Holz geschnitten und handwerklich hergestellt.
Johann Sebastian Bach und der Wow-Effekt
musikschulwelt: Und wann haben Sie zum ersten Mal beschlossen, Musik zu Ihrem Beruf zu machen?
Als ich 14 war, besuchte ich ein Konzert, bei dem die »h-Moll-Messe« von Johann Sebastian Bach aufgeführt wurde. Da habe ich gedacht: Wow, dieser Musik will ich mein Leben widmen! Meine Eltern waren nicht unbedingt gegen eine Ausbildung als Berufsmusiker. Sie wollten aber, dass ich mich auch bei anderen Fakultäten an der Uni umsah und mich nach Studieninhalten und Berufsmöglichkeiten erkundigte. So habe ich sogar an ein Deutsch-Studium gedacht, aber auch an Theologie, Geschichte, Französisch, Englisch oder Logopädie. Als ich mich dann doch fürs Konservatorium entschied, waren meine Eltern damit einverstanden.
musikschulwelt: Welchem verstorbenen Komponisten wären Sie gerne einmal persönlich begegnet?
Bei der alten Musik empfinde ich es als Vorteil, dass ich den Komponisten nicht persönlich kenne. Bei einem verstorbenen Komponisten habe ich das Gefühl, dass die Musik ihm nicht mehr ganz gehört, er ist nicht mehr der Eigentümer, sondern nur noch der »Verpächter«. Das gibt mir die Freiheit, mit der Musik zu tun, was ich will: Da entsteht dann eine Begegnung mit einem alten Werk in der neuen Zeit. Aber wenn ich doch einen Namen nennen soll, dann Luciano Berio. Ich habe neuerdings von ihm geträumt und denke, dass er eine komische Person gewesen ist. Er hat sehr kommunikative Musik mit viel Humor geschrieben. Ich hätte sicher gerne mit ihm zusammengearbeitet.
musikschulwelt: Welche Werke zählen Sie zu Ihren drei absoluten Tophits?
Ohje, das finde ich schwierig. Aber wenn es unbedingt sein muss: die »h-Moll-Messe« von Johann Sebastian Bach, die »Missa Papae Marcelli« von Giovanni Pierluigi da Palestrina und »Gesti« von Luciano Berio.
Ein Beitrag aus der O-Ton-Reihe »Auch ich war Musikschüler …« von musikschulwelt.de
Auch die Großen haben einmal klein angefangen. Ob am Instrument oder im Chor: Es sind oft unvergessliche Erinnerungen, die sich damit verbinden. musikschulwelt schaut gemeinsam mit Stars aus und jenseits der Musikszene auf deren ersten Gehversuche in der Musik.