musikschulwelt spricht mit dem Preisträger des ARD-Musikwettbewerbs Alexej Gorlatch über seine musikalischen Anfänge, die Faszination des Klaviers und persönliche Repertoirevorlieben
Der gebürtige Ukrainer zog als Dreijähriger mit seiner Familie nach Deutschland. Mit 12 Jahren war er bereits Jungstudent an der Universität der Künste Berlin und zwei Jahre später dann am Institut zur Früh-Förderung (IFF) der Hochschule für Musik und Theater Hannover – ein von Musik dominiertes Teenagerleben, das nach Wettbewerbssiegen u.a. in Hamamatsu (2006) und Dublin (2009) im vergangenen Jahr seine vorläufige Krönung erfuhr: Alexej Gorlatch gewann beim Internationalen ARD-Musikwettbewerb in München den 1. Preis im Fach Klavier sowie den Publikumspreis. Der mittlerweile 24-jährige Virtuose, der heute nach Möglichkeit nicht unter fünf Stunden täglich an der Klaviatur sitzt, fing übrigens an wie du und ich: mit seinen ersten Schritten durch die Tür einer ganz gewöhnlichen Musikschule …
musikschulwelt: Ihren pianistischen Anfang haben Sie an der Musikschule in Passau gemacht. Welche Erinnerungen verbinden Sie heute damit?
Ich habe noch sehr gute und schöne Erinnerungen an diese Zeit, vor allem natürlich an den Unterricht bei meinem Lehrer, Eduard Georg Georgiew, aber auch an meine ersten Auftritte. Die Bedeutung des ersten Unterrichts kann nicht überschätzt werden, da er maßgeblich bestimmt, wie sich das Verhältnis zur Musik und zum Instrument entwickelt. Ich habe damals so vieles gelernt – bewusst und unbewusst – und das alles fließt selbstverständlich bis zum heutigen Tag in meine Art, Klavier zu spielen, ein.
Der erste Unterricht kann gar nicht überschätzt werden
musikschulwelt: Hatten Sie eigentlich als Kind Respekt vor dem »gewaltigen« Instrument Klavier bzw. Flügel?
Ich denke, dass ich intuitiv an die Sache herangegangen bin und mit jedem neuen Stück die Möglichkeiten dieses Instruments weiter erforscht habe. Als Pianist hat man in dem Instrument meist nicht den einen »Freund, den man genau kennenlernen will«, sondern es sind verschiedene Flügel und Klaviere, mit denen man versucht, Freundschaft zu schließen. Dabei als Kind völlig unvoreingenommen zu sein, ist wunderbar und auch hilfreich.
musikschulwelt: Nun ist ja das regelmäßige Üben eine der größten Herausforderungen für Jugendliche …und nicht selten werden die Eltern dabei zu lästigen »Antreibern«.
Ich habe immer freiwillig geübt. Niemand übt immer gerne – das hat auch damit zu tun, dass man meist etwas Zeit braucht, um sich in ein Stück einzuarbeiten … Aber nach dem Üben wird man immer durch die Musik belohnt!
Man wird immer durch die Musik belohnt
musikschulwelt: Aber Sie hatten dennoch Zeit auch für andere Hobbys?
Ja, ich habe verschiedene Sportarten gemacht und ich fotografiere sehr gerne. Das ließ sich auch immer mit der Musik vereinbaren, wenngleich es manchmal zugegebenermaßen schwierig war. Ich habe auch mein Abitur gemacht, mit durchweg sehr guten Noten.
musikschulwelt: Sie haben sich ja eine faszinierende Virtuosität erarbeitet. Gibt es für Sie keine technischen Grenzen, die Ihnen persönlich unüberwindbar erscheinen?
Menschen können Unglaubliches erreichen, wenn sie es wollen und dafür arbeiten. Das sehen wir regelmäßig bei Musikern, aber auch Sportlern und Wissenschaftlern. Gerade schnelle, kleine und feine Bewegungen können wir nicht völlig bewusst steuern, da vertrauen wir unserem Körper, den wir beim Üben darauf vorbereitet haben. Es ist auch für mich oft faszinierend, wie wir mit unserem Gehör das Gespielte kontrollieren und blitzschnell eingreifen und korrigieren können.
Mit der Zeitmaschine in die Frühromantik
musikschulwelt: Wenn wir Sie einladen würden zu einem frei wählbaren Rendezvous in der Musikgeschichte: Wem wären Sie gerne begegnet, was hätten Sie gerne miterlebt?
Nur zu einem? Das ist aber schade! Ich würde unglaublich gerne Komponisten ihre eigenen Stücke spielen hören, insbesondere Bach, Mozart und Chopin. Wenn ich mich auf ein Erlebnis beschränken müsste, würde ich gerne bei dem Konzert dabei sein, welches 1832 in Paris stattgefunden hat und in dem unter anderem Chopin, Mendelssohn, Hiller und Kalkbrenner gespielt haben.
musikschulwelt: Wodurch wurde denn Ihre Begeisterung für die moderne Musik entfacht? Und welche Komponisten/Werke kommen Ihnen da spontan in den Sinn?
Ein Aha-Erlebnis gab es nicht, es waren ehe die unterschiedlichen Konzertbesuche, die mein Interesse geweckt haben. Dabei gibt es ja äußerst verschiedenartige zeitgenössische Musik und ich kann mich noch sehr gut an konkrete Hörerlebnisse aus meiner Kindheit erinnern. »Neue Musik« wird als solche ab etwa 1949 definiert. Was eine Jahreszahl natürlich nicht ausdrücken kann, sind die Inhalte dieser Musik. Ich finde Bartók sehr spannend – er wird jedoch zur klassischen Moderne gezählt. Und zurzeit erarbeite ich auch das Strawinsky-Concerto, ein Stück mit sehr viel Energie und rhythmischem Spiel. Wenn ich Neue Musik höre oder lerne, so ist es meiner Meinung nach sehr wichtig, keine Vorurteile ihr gegenüber zu haben. Selbstverständlich kommt es dabei vor, dass mitunter mehr Zeit vergeht, ehe man eine gefestigte Interpretation entwickelt – aber gerade das kann höchst anspornend sein, denn ein Stück mit Überzeugung spielen zu können ist etwas Großartiges.
musikschulwelt: Ihr Repertoire-Geheimtipp abseits des Mainstream?
Mein Geheimtipp bleibt heute geheim – ansonsten kann ich Benjamin Britten sehr empfehlen!
Ich höre unglaublich gerne Musik im Flugzeug!
musikschulwelt: Und was würde ein Alexej Gorlatch tun, wenn er eine Zeitlang ohne Klavier auskommen müsste?
Es wird hart sein, denn das Klavierspiel gibt mir sehr viel. Etwas Abstand bringt aber auch frische Ideen und Empfindungen. Ich würde einen schönen Urlaub machen, vorzugsweise mit meiner Familie, spannende Orte besuchen, und mich mit Freunden treffen – dabei sind sie auf der ganzen Welt verstreut, d. h., ich würde auch viel Zeit im Flugzeug verbringen. Übrigens: Ich höre unglaublich gerne Musik im Flugzeug! Dabei habe ich immer das Gefühl, ich würde sie genauer hören und neue Dinge darin entdecken, auch wenn ich die jeweilige Aufnahme zuvor schon oft gehört habe. Versuchen Sie es einmal bei Gelegenheit, ich kann nur dazu raten!
musikschulwelt: Wann bzw. warum sollte sich aus Ihrer Sicht ein junger Musikschüler für das Klavier entscheiden?
Er/sie sollte es doch nicht. Das Wort »sollte« enthält eine Empfehlung mit Nachdruck. Jedes Kind hat andere Vorstellungen und Interessen, eine Entscheidung für ein Instrument ist etwas Persönliches. Und diese Entscheidung wird auch nur dann anstehen, wenn das Kind schon mit Musik in Kontakt gekommen ist und mehr davon kennenlernen möchte. Dann kann man sich die Fragen stellen: Was gefällt mir am Musizieren, welche Art von Klängen? Habe ich überhaupt die Möglichkeit, auf diesem Instrument zu üben? Für Eltern ist das Klavierspiel ihrer Kinder immer auch eine finanzielle Frage – gute Instrumente kosten viel und sie müssen auch immer wieder gestimmt und gewartet werden.
Ein Beitrag aus der O-Ton-Reihe »Auch ich war Musikschüler …« von musikschulwelt.de Auch die Großen haben einmal klein angefangen. Ob am Instrument oder im Chor: Es sind oft unvergessliche Erinnerungen, die sich damit verbinden. musikschulwelt schaut gemeinsam mit Stars aus und jenseits der Musikszene auf deren ersten Gehversuche in der Musik.
Termine von Aufführungen sind unter www.alexej-gorlatch.com zu finden.