Elke Heidenreich – Schriftstellerin und Literaturkritikerin – spricht mit musikschulwelt über ihre Begeisterung für Musik und Möglichkeiten zu deren Vermittlung.
Elke Heidenreich ist die Grande Dame des deutschen Literaturfeuilletons – und bekennende Musikliebhaberin. Aus dieser Leidenschaft erwuchsen zahlreiche Tätigkeiten, die der Vermittlung von Musik für Kinder und Jugendliche wie auch für Erwachsene dienten: ob als langjährige Textchefin der Kölner Kinderoper und somit Autorin zahlreicher Libretti oder heute als Herausgeberin einer eigenen Buchreihe, der musikalisch geprägten »Edition Elke Heidenreich bei C. Bertelsmann«. In der Rückschau wäre die in Essen aufgewachsene Tochter eines Kfz-Mechanikers und Tankstelleninhabers gern Orchestermusikerin geworden, aber die Weichen wiesen nach dem Krieg in eine andere Richtung:
Wir haben viel Radio gehört, meine Mutter hat mitgesungen, sie war sehr musikalisch. Zum 6. Geburtstag 1949 bekam ich ein (leider diatonisches, nicht chromatisches!) Akkordeon geschenkt und erhielt auch Unterricht. Ein Klavier kam erst Jahre später, der erste richtige Klavierunterricht etwa mit 40 Jahren, bei meiner Schwiegermutter, die Klavierlehrerin war. Sehr lieb und geduldig! Und ich habe immer in Chören gesungen – Schulchor, Kirchenchor, später Bachchor.
musikschulwelt: Erinnern Sie sich an ein musikalisches »Schlüsselerlebnis« aus Ihrer Jugend?
Ja, die erste Oper war die »Zauberflöte«. Inhaltlich verstand ich nicht viel, musikalisch war ich aber für immer verzaubert. Dann eine Schallplatte mit Mozart-Arien, eine andere mit Musik von Händel und Vivaldi – stundenlang saß ich vorm kleinen Kofferplattenspieler, und bis heute erinnere ich jede Note. Die Musik trug mich tröstend weg aus den schrecklichen 50er-Jahren und dem muffigen Elternhaus.
Ohne Oper und Konzert beraubt man Jugendliche großer Schönheit
musikschulwelt: Welche Bedeutung messen Sie der Beschäftigung mit Musik für die Entwicklung von Kindern bei?
Musik und Literatur sind gleichermaßen wichtig für die Entwicklung junger Menschen. Der Umgang mit Sprache und der Umgang mit Musik formt und prägt und trägt ein Leben lang. Es ist ein Jammer, dass so viele Kinder vor dem Fernseher geparkt werden und weder zum Medium Buch noch zur Wunderwelt der Oper und Konzerte einen Zugang haben. Man beraubt sie großer Schönheit.
musikschulwelt: Haben Sie sich mit Ihrer Arbeit als Librettistin bzw. Texterin nicht doch noch den Berufstraum Musikerin erfüllt?
Ja und nein. Ich war nah dran an der Musik, an der Oper, aber ich war es ja mit dem, was ich kann: mit Sprache, nicht mit dem, was ich mir ersehnte, mit Musik. Aber es war herrlich, bei den Proben zu sitzen und sehen, wie ein musikalisches Kunstwerk auf der Bühne entsteht – ja, das war schon ein Stück Traumerfüllung!
Das Geheimnis muss gewahrt bleiben
musikschulwelt: Was schätzen Sie speziell an der Kölner Kinderoper?
Christian Schuller, der damalige Oberspielleiter, hat mit seinen wunderbaren Inszenierungen und großartigen Ausgrabungen vergessener Werke die Kinderoper zu dem gemacht, was sie ist: einem künstlerischen Traumparadies, in dem der für die Oper so wichtige Nachwuchs, der Zuschauer/Zuhörer der Zukunft heranwächst. Er hat Maßstäbe des künstlerischen Geschmacks gesetzt. Er hat nie Oper »mit Kindern« gemacht, sondern immer Oper »für Kinder«, das heißt, der Zauber, das Geheimnis blieb bewahrt. Kein musikalischer Zirkus, sondern strikt: Oper für junge Menschen, mit allem Drum und Dran.
musikschulwelt: Welche Musik würden Sie Kindern besonders ans Herz legen wollen?
Das ist schwer zu sagen. In der Kölner Kinderoper haben wir sehr gute Erfahrungen mit der Musik des 20. Jahrhunderts gemacht, der Kinder offen und vorurteilslos begegnen. Aber auch Mozart, Weber, Schubert, Bach werden natürlich von ihnen verstanden. Wichtig ist nicht so sehr das Was als vielmehr das Wie: Man darf für Kinder nichts Kindertümelndes machen, man muss sie ernst nehmen. Und die Kunst, die Musik, die man ihnen anbietet, muss von großer Qualität sein. Kein niedliches Gedudel.
Ein neues Ballettprojekt für Koblenz
musikschulwelt: Gemeinsam mit dem Komponisten Marc-Aurel Floros haben Sie ja seinerzeit eine eigene Oper »Adrianas Fall« geschrieben …
… deren Uraufführung wegen einer schweren Erkrankung von Floros 2008 leider ausfallen musste. Ich hoffe, dass sich irgendwann aber eine zweite Chance bietet, nur sähe die Oper wahrscheinlich jetzt, drei Jahre später, schon wieder ganz anders aus! Aber es gibt ja die schöne Kammeroper »GALA GALA« von uns beiden, für kleines Orchester, drei Sänger und zwei Schauspieler, die mit großem Erfolg 2006 in Köln lief – darin geht es um Gala, die Frau und Muse des Malers Salvador Dalì. Und wir arbeiten an anderen Projekten, zum Beispiel einem Ballett für das Theater Koblenz nach einer Erzählung von mir: »Nurejews Hund«. Floros schreibt dazu Klaviermusik.
musikschulwelt: Mit Ihrer »Edition Elke Heidenreich bei C. Bertelsmann« haben Sie nun Ihre beiden großen Faibles für die Musik und die Literatur vereinigt …
In den bisher 25 Büchern der Edition dreht sich alles mehr oder weniger um Musik, aber nicht etwa nur um Sachbücher: Wir geben literarisch sehr schöne Romane heraus, in denen es eben einfach um Musiker und Musik geht, aber die sich an jeden Leser wenden.
Daneben gibt es tolle Biografien, etwa von Chopin, Martha Argerich, Hanns Eisler, oder eine Anthologie »Ein Traum von Musik« mit Texten zur Musik, geschrieben von Campino und Udo Jürgens bis Enoch zu Guttenberg, Kent Nagano und Hans Werner Henze (zur musikschulwelt-Rezension).
In der Edition findet jeder, der irgendeine Beziehung zur Musik hat, das, was ihn interessieren könnte – auch ein tolles Tangobuch ist dabei und eine witzige Geschichte von Herbert Rosendorfer über betrügerische Musikwissenschaftler. Im Frühjahr bringen wir unbekannte, surrealistische Erzählungen des russischen Komponisten Sergej Prokofiev heraus.
Leoš Janácek bringt mich zum Weinen
musikschulwelt: Welche Komponisten und Werke hört Elke Heidenreich zurzeit am liebsten?
Ich habe gerade ein Buch über Venedig als Stadt der Musik geschrieben, das den Titel »Die schöne Stille« trägt, und noch immer höre ich viel venezianische Musik – alte von Vivaldi, Cimarosa und Albinoni und neue von Strawinsky oder Nono. Aber mein Herz hängt derzeit an Leoš Janácek, der mich zum Weinen bringt. Den höre ich zurzeit am meisten. Und natürlich immer Bach.
Ein Beitrag aus der O-Ton-Reihe »Auch ich war Musikschüler …« von musikschulwelt.de
Auch die Großen haben einmal klein angefangen. Ob am Instrument oder im Chor: Es sind oft unvergessliche Erinnerungen, die sich damit verbinden. musikschulwelt schaut gemeinsam mit Stars aus und jenseits der Musikszene auf deren ersten Gehversuche in der Musik.