Der gefeierte Starbratschist Nils Mönkemeyer spricht mit musikschulwelt über den Weg zu seinem Instrument, pubertäre Auszeiten, die Unlust an Wettbewerben und ein Wunsch-Rendezvouz mit Mozart …
Vor drei Jahren durfte er als Nachwuchskünstler des Jahres den ECHO Klassik entgegennehmen, ein Jahr später erhielt Nils Mönkemeyer den gleichnamigen Preis für die beste Konzerteinspielung. Seine letzten vier CDs haben allesamt den Sprung in die Klassik-Charts geschafft. Mittlerweile lehrt der 1978 geborene Bremer als Professor für Bratsche an der Hochschule für Musik und Theater in München. Und sein internationaler Konzertkalender ist bis zum Rand gefüllt. Der Weg dahin – man will es kaum glauben – führte über eine ganz normale »Musikschul-Karriere«, die während der Pubertät zudem noch für ganze zwei Jahre unterbrochen wurde …
musikschulwelt: Gab es ein »Aha-Erlebnis«, das Ihre Begeisterung für Musik nachhaltig entfachte?
Das kann ich so nicht sagen. Aber mein Vater ist Jazzmusiker, und in seiner Freizeit hört er auch sehr viel Barockmusik. Eigentlich ist Musik bei uns zuhause immer präsent gewesen, wir haben viel gesungen. Ich besuchte einen Waldorf-Kindergarten, wo auch viele Volkslieder gesungen werden. Deswegen war die Vorbereitung auf mein späteres Musikerdasein eine ganz natürliche. Ich hatte von Anfang an ein Leben, in dem Musik ein präsenter Teil meines täglichen Ablaufs war.
Eigentlich wollte ich Cembalo lernen
Hatten Sie damals irgendein musikalisches »Vorbild«, dem Sie nacheifern wollten?
Ein direktes musikalisches Vorbild hatte ich nicht, aber ursprünglich wollte ich Cembalo spielen. Wir besaßen zuhause eine Aufnahme von Nikolaus Harnoncourt mit den »Brandenburgischen Konzerten« J.S. Bachs – und da hatte es mir vor allem die Nr. 5 mit der langen Cembalokadenz angetan. Aber meine Eltern meinten, vielleicht wäre Geige am Anfang doch ein bisschen praktischer. Damit war ich auch sehr einverstanden, weil ich Gidon Kremers Aufnahme mit Bachs Partiten und Sonaten sehr gerne mochte. Eigentlich komme ich ja vom Land und es gab nicht viele Möglichkeiten, oft ins Konzert zu gehen. Deshalb waren mir Schallplatten wichtig. So bin ich also zur Geige gekommen und habe schnell gemerkt, dass mir das genauso gut gefällt wie das zirpende Cembalo.
musikschulwelt: Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Musikstunde?
Meinen ersten Musikunterricht erhielt ich an der Musikschule Rotenburg/Wümme. Ich hatte aber meine Geige schon ein paar Monate vorher bekommen, und zwar während der Sommerferien. So habe ich schon die ganzen Ferien geübt. Als ich dann in den Unterricht kam, wollte die Lehrerin mit Pizzicato anfangen, ich habe gleich mit dem Bogen kräftig drauflosgestrichen – und sie musste mir erst einmal wieder von vorne erklären, wie man das Instrument überhaupt hält. Aber immerhin hatte ich es schon auf der richtigen Seite …
musikschulwelt: Wie kam es denn zum Wechsel von der Violine auf die Bratsche?
Im Prinzip war es so, dass ich auf der Geige immer das Problem hatte, einen schönen Klang, meinen eigenen Ausdruck zu finden. Ich habe auch immer versucht, den Klang auf der Geige dunkler zu hinzubekommen, und wollte eigentlich einen Bratschenklang auf der Geige erzeugen. Als ich dann im Bundesjugendorchester war und wir abends Kammermusik vom Blatt spielten, verabschiedete sich die Bratschistin irgendwann und ging ins Bett. Da habe ich ihre Bratsche genommen – und hatte so etwas wie einen kleinen Heureka-Effekt, weil ich plötzlich gemerkt habe, dass das mein Klang ist.
Bratschisten müssen ein bisschen mehr zupacken
Und dass ich auch die Art von Energie habe, die man für die Bratsche braucht: Man muss ja ein bisschen mehr zupacken. Diese Art von Energie war plötzlich wichtig. Und alles hat genau gepasst. Im Prinzip war das der Moment, in dem ich zum ersten Mal wusste, dass ich wirklich gut spielen kann und dass ich etwas zu sagen habe – etwas, was nicht nur in meinem Kopf ist und am Instrument dann anders klingt, als ich es eigentlich will. Und dass es zum ersten Mal eine Übereinstimmung zwischen Vorstellung und Realität gab.
musikschulwelt: Und dann kam irgendwann die Pubertät – wurden für Sie nun andere Hobbys wichtiger?
Mit 13 hatte ich – wahrscheinlich aus pubertären Gründen – einen Durchhänger und habe zwei Jahre ausgesetzt mit dem Musikunterricht. In der Zeit war ich eigentlich wie jeder andere Junge, ich war im Handballverein, habe viel Sport gemacht und nicht geübt. Dann aber ging es wieder los und wurde schnell so viel mehr, dass meine Eltern meinten, ich solle doch wieder Unterricht nehmen. Das habe ich getan, bei einem sehr alten Herrn aus dem Orchester, mit dem aber die Chemie nicht wirklich gestimmt hat. Also habe ich sehr schnell wieder aufgehört. In dem Alter ist man ja noch nicht so klug, ich wusste nicht woran das liegt, und dachte, es läge an der Musik. Im Nachhinein wurde mir klar, dass ich den falschen Lehrer hatte.
Aber dann fand ich an der Musikschule in Achim eine ganz tolle Lehrerin, bei ihr habe ich die Freude am Unterricht wiedergefunden. Sie hat an mich geglaubt und mich sehr gefördert. Im Musikschulorchester war ich schnell Konzertmeister und ich hatte eine eigene Kammermusikgruppe. Das war der Moment, als ich wieder total drin war und gemerkt habe: Es ist doch das, was ich will.
Wettbewerb hemmt für mich die Freude an der Musik
musikschulwelt: Was machte für Sie als Jugendlicher den Reiz des Musikmachen aus – und was nicht?
Meine Eltern unterstützten mich sehr, und ich habe stundenlang gespielt und geübt. Aber das war mehr meine kindliche Begeisterung und meine Freude an der Sache. Und darum habe ich auch aufgehört, als ich 13 Jahre alt war, weil diese Freude verloren ging. Es lag auch daran, dass viele aus meinem Umfeld mich in Richtung »Jugend musiziert« und Wettbewerb trimmen wollten. Ich wollte das aber nicht, wollte nicht besser als andere sein und das allen zeigen. Ich wollte einfach spielen für mich selbst.
Das ist eigentlich etwas, was ich bis heute so fühle. Der Moment, in dem es darum geht, mit dem Spiel andere zu übertrumpfen, in Konkurrenz zu treten – alle diese Dinge sind für mich eigentlich ganz antimusikalisch und hemmen bei mir heute noch die Freude daran. Musik war für mich ein Alltagsmoment, das für mich ganz in mein Leben integriert war und Freude bedeutet hat, nicht eine berufliche Orientierung.
musikschulwelt: Wir laden Sie ein zu einem frei wählbaren Rendezvous in der Musikgeschichte: Wem wären Sie gerne begegnet, was hätten Sie gerne miterlebt?
Ich hätte eigentlich gerne im Orchester gespielt, als Mozart seine Opern leitete. Ich hätte gerne gehört, wie er im Continuo improvisierte, wie er das Spiel der Sänger kommentierte, wie der das Orchester dirigiert und seine Vorstellung umgesetzt hat. Was ich toll finde, ist diese Continuo-Praxis beim Begleiten der Sänger: Das Continuo ist wie die Stimme eines Kommentators, der das, was die Sänger im Rezitativ gerade singen, illustriert und noch einmal reflektiert. Ich glaube, dass Mozart darin genial war. Und das hätte ich gerne einmal gehört.
Leidenschaft für die französische Barockoper
musikschulwelt: Welche Werke der Musikgeschichte möchten Sie unseren Lesern besonders an Herz legen?
Eigentlich gibt es für mich keine Tophits. Gute Musik ist etwas, was mich emotional erreicht und berührt. Dann gibt es Werke wie z.B. die späten Beethoven-Streichquartette, die ich zwar emotional extrem spannend finde, aber intellektuell noch nicht ganz verstehe.
Alfred Schnittkes Bratschenkonzert finde ich eines der besten Stücke, die es für mein Instrument gibt. Es ist ein kraftvolles, düsteres und apokalyptisches Werk. Was ich auch sehr gerne mag, ist französische Barockoper – mein CD-Tipp wäre da »Tragédiennes« von Veronique Gens mit Opernarien von Gluck bis Verdi und vielen ganz unbekannten Stücken.
Im Moment erarbeite ich mir die Bach-Suiten für Cello auf der Bratsche und möchte gerne diesen Zyklus auf CD aufnehmen.
musikschulwelt: Wann sollte sich ein junger Musikschüler für die Bratsche entscheiden?
Wenn jemand sehr groß ist, lange Arme und auch dicke Finger hat, ist die Bratsche definitiv die bessere Wahl als die Geige – Wurstfinger bitte zur Bratsche! Ansonsten gibt es viele schöne Instrumente, und man muss einfach das Instrument finden, das einem Spaß macht.
musikschulwelt: Haben Sie zum Schluss noch eine persönliche Liebeserklärung für Ihr Instrument?
»Schau mir in die Augen, Kleines!«
Ein Beitrag aus der O-Ton-Reihe »Auch ich war Musikschüler …« von musikschulwelt.de
Auch die Großen haben einmal klein angefangen. Ob am Instrument oder im Chor: Es sind oft unvergessliche Erinnerungen, die sich damit verbinden. musikschulwelt schaut gemeinsam mit Stars aus und jenseits der Musikszene auf deren ersten Gehversuche in der Musik.
Termine zu Aufführungen sind unter www.nilsmoenkemeyer.de zu finden.