Einer der Größten und Meistunterschätzten

Benbri1 musikschulwelt spricht mit Alban Gerhardt über das diesjährige Geburtstagskind Benjamin Britten

Die Musikwelt feiert 2013 den 100. Geburtstag des britischen Komponisten Benjamin Britten (1913-1976). Ein sehr vielseitiger Tonkünstler, der die Gattungen Sinfonie, Oper, Kammermusik gleichermaßen bereicherte – und darüber hinaus etwa mit dem Orchesterwerk »The Young Person’s Guide to the Orchestra« oder auch Kinderopern wie »Let’s Make an Opera«, »The Little Sweep« und »Noye’s Fludde« gerade auch für den Nachwuchs eine Brücke zur neuen Musik schlug. Die Redaktion sprach mit dem international gefeierten Virtuosen Alban Gerhardt, der soeben eine CD mit sämtlichen Cellowerken des Briten veröffentlicht hat, über seine Erstbegegnung mit dieser Musik, deren Faszination und wie sich Benjamin Britten für den »Einsteiger« am schnellsten erschließen könnte.

musikschulwelt: Im Leben wie in der Musik ist die allererste Begegnung immer sehr prägend und mitunter vorentscheidend. Erinnern Sie sich noch an Ihr »erstes Mal« mit Benjamin Britten?

Es war in den 80er-Jahren Brittens »War Requiem«, und zwar in der Aufführung eines Projektorchesters mit Musikern aus Ost und West – ein echtes Politikum damals, das von unserem Kinderarzt Dr. Peter Hauber als Benefizkonzert für die IPPNW (International Physicist for the Prevention of a Nuclear War) initiiert worden war. Ich war vollkommen beeindruckt von dem Werk und musste deshalb schnellstmöglich herausfinden, was dieser mir bis dato unbekannte Komponist für Cello komponiert hatte. Dabei entdeckte ich dann jene phänomenale Einspielung, die Benjamin Britten selbst zusammen mit Mstislaw Rostropowitsch aufgenommen hatte: Schumanns »Stücke im Volkston«, eine Debussy- sowie seine (Brittens) Sonate – eine wundervolle Aufnahme.

Ein Komponist von unglaublicher Integrität und Originalität

musikschulwelt: Trotz aller jugendlicher Begeisterung hat es dann aber doch einige Zeit gebraucht, bis Sie selbst mit einem Britten-Werk auftraten …

Erst 1991 habe ich mich getraut, erstmals die Solosuite Nr. 1 öffentlich zu spielen. Ich erinnere mich noch sehr genau: Es war im Schloss Charlottenburg und ich hatte es nicht geschafft, die Suite für das Konzert auswendig zu lernen – leider gehen die Sätze alle direkt ineinander über, weshalb es eigentlich unmöglich ist, Notenseiten zu wenden, ohne den musikalischen Fluss zu stören. Ich habe mir damals alles kleinkopiert und auf vier riesige Pappen geklebt, auf denen ich dann aber die Noten nicht richtig erkennen konnte, zumal die Beleuchtung nicht sonderlich gut war.
Nach dieser durchwachsenen Aufführung habe ich mir geschworen, dieses Stück nie wieder von Noten zu spielen. Die vielen Aufführungen seitdem waren alle weitaus besser und überzeugender, nicht zuletzt weil ich das Stück wirklich derart verinnerlicht hatte, dass ich es so improvisatorisch wie nur möglich spielen konnte, was dem Charakter des Werkes zugutekommt.

Foto: Sim Canetty-Clarke (Hyperion Records)

In Berlin geborener Cellist von Weltruf: Alban Gerhardt, der heute in New York lebt.
(Fotos: Sim Canetty-Clarke, Hyperion Records)

musikschulwelt: Mittlerweile haben Sie ja sämtliche Werke Brittens einstudiert. Welche Rolle spielt für Sie in solch einem Erarbeitungsprozess die Biografie des Künstlers?

Britten ist ein fantastischer Komponist – alles, was er will, alles, was die Musik benötigt, steht in den Noten. Ich kenne seine Biografie, kenne viele seiner Werke, aber am Ende wäre dies eigentlich nicht nötig, denn der Notentext ist so klar und die »Message« so eindeutig, dass alles andere für die Interpretation selbst eigentlich zweitrangig ist. Was ich über ihn gelesen habe, zeugt von einer unglaublichen Integrität und Originalität, die ich sehr bewundere.

Der Notentext ist so klar und die »Message« so eindeutig …

musikschulwelt: Also ein unverwechselbares Original seiner Zeit …

Er ist einer der wenigen Komponisten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die eine eigene Sprache gefunden haben. Ähnlich wie Hindemith, Prokofiew, Schostakowitsch oder Dutilleux ist seine Musik sofort erkennbar. Er scheint sich aber kaum an Vorlagen gehalten zu haben, auf alle Fälle nicht bei den Cellowerken – und wenn er sich irgendwo orientiert haben sollte, dann verfremdet er es derart, dass es doch sein Eigen wird.
Ich mag die Vielschichtig- und Vielseitigkeit seiner Musik, das teilweise introvertiert Verschrobene, dann wieder die scheinbar plakativen Momente, die vielleicht nur über eine versteckte Traurigkeit hinwegtäuschen wollen. Die Virtuosität, die niemals Selbstzweck ist, seine Expressivität, die niemals sentimental wird, das Dunkle, das immer versucht, optimistisch zu bleiben, es aber irgendwie nicht schafft – es wird nie langweilig, seine Musik zu hören oder zu spielen! (Foto: Sim Canetty-Clarke, Hyperion Records)

musikschulwelt: Haben Sie sich eigentlich zunächst Britten-Einspielungen anderer Cellisten angehört? Oder nähern Sie sich einem neuen Werk ausschließlich über das Notenmaterial an?

Es läge auf der Hand, sich wenigstens die Aufnahme dessen, dem ein Stück gewidmet ist, anzuhören. Ich wollte dies auch tun, nachdem ich meinen eigenen Weg gefunden zu haben glaubte. Ich habe also geübt, auswendig gelernt, die Sachen aufgeführt, wieder geübt, Zeit verstreichen lassen. Und irgendwann war ich mir so sicher, dass das, was ich da spielte, eine gültige Version sein könnte …  und hatte darüber völlig verpasst, auch nur einen einzigen Ton (der Suiten) eines anderen Cellisten angehört zu haben (mit Ausnahme der Sonate, da kannte ich ja besagte Version mit Britten und Rostropowitsch, hatte sie mir aber seit vielen Jahren nicht mehr angehört).

Jeder ist auf der Suche nach der eigenen »gültigen« Version

Da ich Rostropowitsch als Cellist und Musikerpersönlichkeit sehr verehre und auch von seiner unglaublichen Überzeugungskraft auf diverse Komponisten weiß, bin ich ziemlich überzeugt davon, dass seine Version zwar eindrucksvoll war, aber nicht unbedingt das, was sich Britten beim Schreiben der Werke wirklich vorgestellt hat. Und doch war es eben so überzeugend, dass Britten gewiss nicht jeden Ton und jede Nuance, die er vielleicht anders hätte haben wollen, mit dem großen russischen Interpreten erarbeitet hat, sondern er war wahrscheinlich froh, so eine schöne Aufführung erfahren zu haben. Ähnliches habe ich selbst auch erlebt, nämlich dass ein Komponist es zwar gut fand, was ich mit seinen Werken angestellt hatte, dies aber ganz anders ausgefallen war, als er es sich vorgestellt hatte.

musikschulwelt: Gibt es denn ein bestimmtes Werk in Brittens Gesamtschaffen, das Ihnen besonders ans Herz gewachsen ist?

Also ein Lieblingswerk? Hm, eigentlich immer das, was ich gerade spiele, und da ich in wenigen Tagen seine »Cello Symphony« spielen werde, mag ich sie gerade am meisten. Ansonsten habe ich vor wenigen Wochen zum ersten Mal live »Peter Grimes« an der Deutschen Oper in Berlin erlebt und war völlig begeistert – nicht nur von der Aufführung und Inszenierung, sondern auch und insbesondere von der großartigen Musik. Also, wenn ich mich festlegen müsste, würde ich wohl »Peter Grimes« als Lieblingsstück nennen – und das auch einem Jugendlichen als Einstieg zu Britten empfehlen.

CD2013

Die neue Doppel-CD mit sämtlichen Cellowerken Brittens, erschienen bei Hyperion Records (CDA 67941/2).

musikschulwelt: Und welches Cellowerk sollte sich ein Britten-Novize als Erstes vornehmen?

Die Sonate für Cello und Klavier op. 65 ist für den Britten-Einsteiger sowohl zum Hören als auch zum Spielen am geeignetsten. Die beiden letzten Sätze sind echte »Renner« – oft habe ich sie schon nach einem Recital (bei dem die Sonate nicht auf dem Programm stand) als Zugabe gespielt. Die Suiten und auch die »Cello Symphony« sind weitaus komplexer und technisch auch schwerer zu bewältigen. Allerdings ist die Sonate für einen Anfänger auf alle Fälle zu schwer – schwerer als ein Elgar-Konzert, nicht zuletzt wegen des schnellen und bogentechnisch sehr heiklen letzten Satzes.

Es wird nie langweilig, diese Musik zu hören oder zu spielen!

musikschulwelt: Stößt man in Rahmen einer Gesamteinspielung wie dieser nicht auch als Profi auf Kompositionen, die einem nicht »gefallen« oder die man nicht so recht »versteht«?

Bei Britten waren es eigentlich nur die letzten zwei Seiten der Suite Nr. 3, die ich nicht verstanden habe. Während der Aufnahme selbst ging es dann eigentlich ganz gut, die Henry Wood Hall im dämmrigen Londoner Licht hat mir vielleicht geholfen, in die richtige Stimmung zu geraten. Und auch als ich sie ein einziges Mal im Konzert spielte, schien das Werk mir plötzlich klar zu sein. Allein beim Üben hatte ich die größten Schwierigkeiten, zu verstehen, was Britten damit (mit den Zitaten der russischen Volkslieder) bezweckt haben mag.

musikschulwelt: Zum Schluss noch eine allerletzte Frage: Wenn Sie Benjamin Britten dereinst im Himmel begegnen, werden Sie …

Oh, ich würde ihn zu überreden versuchen, mit mir seine Sonate zu spielen. Und wenn das gut gelaufen wäre, würde ich ihn fragen, ob er vielleicht noch eine schreiben möchte!

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