Musikalische Frühförderung für alle?!

Kinder frühstmöglich musikalisch zu fördern wird heute von (Musik-) Pädagogen, Lehrern und selbst Politikern vielfach gefordert. Eltern beschäftigt das Thema, da sie ihrem Nachwuchs in der Regel das Beste angedeihen lassen wollen. Im Alltag sehen sie sich hier meist jedoch mit der Aufgabe konfrontiert, die musikalische Förderung selbst zu organisieren. Für Berufstätige bedeutet das zusätzliche Termine zu oft ungünstigen Zeiten. Da zudem Kosten anfallen, müssen viele auch auf Frühförderkurse ganz verzichten.“Warum können Kitas hier nicht Aufgaben übernehmen und alle Kinder gleichermaßen von professionellen musikalischen Förderangeboten profitieren lassen?“ wollte eine Elternvertreterin an einer Münchner Kita wissen.

musikschulwelt  befragt dazu den Experten Prof. Dr. Michael Dartsch (Hochschule für Musik Saar)

musikschulwelt: In seiner Resolution »Musik in Kindertagesstätte und Schule« fordert der Deutsche Musikrat einen durchgängigen fachpädagogischen Musikunterricht für alle. Wie weit sind wir von diesem Ideal entfernt?

Wir sind von diesem Ideal noch recht weit entfernt. Von Erzieherinnen würde man derzeit zu viel erwarten, wenn man ihnen echte musikpädagogische Qualifikationen abverlangen würde, denn ihre Ausbildung wird einer solchen Forderung kaum gerecht. Auch in Grundschulen fehlen überwiegend ausgebildete Fachlehrerinnen und Fachlehrer. Es ist aber leicht einzusehen, dass nur Menschen, die selbst einen Zugang zum Singen, Tanzen und Instrumentalspiel haben, Kinder gewinnbringend hierzu anregen können.

musikschulwelt: Je früher, je besser?  – ist es wirklich notwendig, dass schon Wickelkinder musikalische Früherziehungskurse besuchen? Ab welchem Alter ist professionelle Förderung wünschenswert?

Die Eltern-Kind-Angebote der Musikschulen sind keineswegs ein früher Drill, sondern wollen den Kindern musikalische Erfahrungen ermöglichen, die im häuslichen Umfeld möglicherweise nicht in entsprechender Breite und Intensität vorhanden sind. Wenn Kinder von Anfang an mit Musik umgeben sind, haben sie eher die Chance, sie als „Sprache“ eigener Art zu verinnerlichen und Freude daran zu entwickeln. Außerdem richten sich die Kurse aber auch an die Eltern, die vielleicht selbst musikalische Anregungen schätzen und die Musik neu für sich entdecken können. Schließlich werden Lieder, Verse und Spiele für das Miteinander zuhause vermittelt, wie sie vor Zeiten selbstverständlich in den Familien zuhause waren.

musikschulwelt:  Musikalische Förderung in der Kindertagesstätte bringt Chancengleichheit und ist vor allem für berufstätige Eltern von Vorteil. Was raten Sie engagierten Eltern (-vertretern), die sich für ein solches Angebot in ihrer Tagesstätte einsetzen wollen?

Zuerst sollte die Finanzierung geklärt werden. Guter Unterricht kostet Geld, ist aber auch sein Geld wert. Dann wäre es nahe liegend, sich mit der örtlichen Musikschule in Verbindung zu setzen, um nach Kooperationsmöglichkeiten zu fragen. Lehrkräfte aus der Musikschule könnten schließlich regelmäßig in die Tageseinrichtung kommen. Wird bei privaten Anbietern gesucht, ist die Qualität besonders zu prüfen, da man hier nicht selbstverständlich von Fachstudien ausgehen kann. Jeder und jede darf sich Musiklehrerin oder Musiklehrer nennen und kann Angebote für Kinder bewerben.

musikschulwelt: Welche Qualitätsstandards müssen solche Förderangebote erfüllen?

Haben die Lehrkräfte ein Fachstudium absolviert, darf man allgemein darauf hoffen, dass sie guten Unterricht geben. Dieser sollte Musik in ihrer ganzen Breite erlebbar werden lassen; es sollte also gesungen werden – und dies auf keinen Fall zu tief! –; Bewegung sollte einen wichtigen Platz einnehmen, sie bietet für Kinder eine Brücke zur Musik; Instrumente sollten kennen gelernt und ausprobiert werden können; es sollte gute Musik verschiedenster Art in guter Qualität gehört werden – also nicht nur billige Kinderkassetten –; es sollte nuanciert und sensibel mit Musik umgegangen werden; die Kinder sollten Raum erhalten, eigene Ideen, Vorstellungen und Wünsche einzubringen; schließlich sollte der Alltag in der Einrichtung von alledem befruchtet werden; hierfür sollte es einen Austausch oder eine Kooperation zwischen der musikpädagogischen Fachkraft und den Erzieherinnen geben.

musikschulwelt: Gibt es in einzelnen Bundesländern dafür geeignete Programme, Stiftungs- bzw. Fördergelder?

Es gibt verschiedene Programme, in denen Erzieherinnen fortgebildet werden („Kita macht Musik“ Bertelsmann Stiftung), in denen sie mit Musikschullehrkräften zusammenarbeiten oder in denen Menschen zum Singen in Tageseinrichtungen kommen („Prima Canta“ in Hessen, „Liedergarten“ des Chorverbandes NRW, Singpatenschaften); außerdem gibt es Singanreize durch Qualitätsausweise (Initiative „Felix und die Carusos“ des Deutschen Chorverbandes). Im baden-württembergischen Programm „Singen – Bewegen – Sprechen“ steht die Sprachförderung mittels Musik im Zentrum. Die finanzielle Ausstattung ergibt sich aus der Trägerschaft und kann von Stiftungen oder auch von der öffentlichen Hand kommen. Im Einzelfall können bei alledem stets die oben angegebenen Qualitätskriterien vor Ort als Maßstab einer Beurteilung dienen. Ein Programm an sich garantiert noch keine Qualität, kann sie aber selbstverständlich befördern.

musikschulwelt:  Wie weit ist die seit langem geforderte Zusatzausbildung von Erzieherinnen im Bereich Musik vorangekommen?

Bisher gibt es außer lokalen Bemühungen und vereinzelten Studienmöglichkeiten (Frankfurt, Lüneburg) sowie regional verankerten Fort- und Weiterbildungen keine flächendeckende Struktur zur Verbesserung der Qualifikation von Erzieherinnen.

musikschulwelt: Herzlichen Dank für Ihre Ausführungen!

 

Prof. Dr. Michael Dartsch ist Musiker (Geige) und Professor an der Hochschule für Musik Saar. Er leitet dort den Studiengang Elementare Musikpädagogik.

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